Würde ein Zerfall der EU die deutsche Wirtschaft treffen?

21.06.2017, 15:23 Uhr in Service, Anzeige
Europa

Am Ende wird dann doch nicht alles so schlimm – zumindest aus deutscher Sicht. Könnten sich die Briten und die EU nicht auf ein bilaterales Abkommen einigen, würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent geringer ausfallen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest das Gutachten des Ifo-Instituts in München. „Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt, dass der Brexit für Großbritannien teurer als für Deutschland wird“, so die Experten. Die britische Wirtschaftsleistung könnte um satte 1,7 Prozent schrumpfen. Wenn sich die beiden Seiten aber auf ein ambitioniertes und umfassendes Freihandelsabkommen einigen könnten, würde das britische Bruttoinlandsprodukt um lediglich 0,6 Prozent schrumpfen. In Deutschland müsste man von einem Rückgang von 0,1 Prozent ausgehen.

Deutschland würde auch einen „harten Brexit“ verkraften

Doch noch immer gibt es die Gefahr eines „harten Brexits“, der immer wieder von Theresa May, der britischen Premierministerin, angesprochen wird. Gibt es kein Freihandelsabkommen und zudem keine Sonderregelungen, so könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 6,3 Milliarden Euro sinken – also um ein Viertelprozent der gesamtdeutschen Wirtschaftsleistung. Die Pharmahersteller, die Maschinenbauer und die Autobranche würden die Folgen besonders hart zu spüren bekommen. Im deutschen Finanzsektor werden hingegen leichte Zuwächse möglich sein. „Der Brexit wird für Großbritannien und die EU-Mitgliedsstaaten wirtschaftliche Folgen haben, die keinesfalls unterschätzt werden dürfen“, so die Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Jedoch geben die Prognosen und Berechnungen einen Grund zur Hoffnung: Selbst dann, wenn die ungünstigsten Bedingungen eintreffen würden, werde das die deutsche Wirtschaft verkraften – die Briten hätten weitaus größere Probleme zu meistern. Das liege einerseits an den günstigen konjunkturellen Aussichten, andererseits an den guten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Zypries weiß, dass die Verhandlungen, die die EU und Großbritannien führen werden müssen, am Ende auch einen Einfluss auf das Wohl der deutschen Wirtschaft haben werden. „Am Ende wissen wir, dass die vertraglichen Beziehungen, die zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geschlossen werden, für Deutschland und die ganze EU von Bedeutung sind“, so die Wirtschaftsministerin.

Unternehmer fürchten weitere Austritte

Während sich die Devisenhändler und die Politiker mit dem Brexit befassen, gibt es noch die Unternehmer, die sich mit der britischen Entscheidung bereits abgefunden haben und neue Projekte in Angriff nehmen würden. Die GMS, die Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung, hat die Wirtschaftsvertreter gefragt, wie sie die Politik verändern würden, wenn sie die ersten 100 Tage nach der Bundestagswahl beeinflussen könnten. Am Ende gab es doch einige überraschende Antworten: Zu Beginn würden die Befragten nicht die Bürokratie entrümpeln – sie würden Investitionen tätigen, die Steuern für ausgewählte Arbeitnehmergruppen und Unternehmen senken und sich vorwiegend auf die Verteidigungs-, Außen- und Sicherheitspolitik konzentrieren. Doch die GMS weiß, dass die Unternehmer auch Sorgen haben, wenn sie an die Europäische Union denken. Vor allem haben viele der Befragten Bedenken, wenn sie an die Handelspartner denken. Fakt ist: Die Befragten haben sich mit dem Brexit zwar abgefunden, denken aber bereits an die Zukunft und auch an die Entwicklungen, die noch bevorstehen. Würden Ungarn und Polen ebenfalls aus der EU austreten, könnte die deutsche Wirtschaft wirklich ein Problem bekommen. Aus diesem Grund würden sich die Befragten für eine „Reform der Europäischen Union“ einsetzen, sodass es zu einer Verringerung von Intransparenz und Bürokratie kommen würde. Doch nicht nur die Entwicklungen innerhalb der EU seien problematisch – die Unternehmer sind auch nicht erfreut, wenn sie an die Länder denken, die sich außerhalb Europas befinden. So sind viele der Befragten unsicher, ob der Kurs von Donald J. Trump tatsächlich erfolgversprechend sei. Auch Russland stehe man skeptisch gegenüber. Doch auch wenn Trump und Putin nicht die besten Freunde Deutschlands sind, so müsse man, da sind sich die Unternehmer einig, noch immer einen pragmatischen Umgang pflegen.