Biometrie im Zahlungsverkehr: Fortschritt oder Sicherheitsrisiko auf Knopfdruck?

06.06.2025, 14:39 Uhr in Service, Anzeige
Digital Bezahlen - unsplash.com
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Bezahlen mit dem eigenen Fingerabdruck, einem Lächeln oder dem Scan der Iris – was noch vor wenigen Jahren wie Science-Fiction klang, ist längst Realität. Große Technologiekonzerne, Finanzdienstleister und Zahlungsplattformen setzen zunehmend auf biometrische Authentifizierung. Die Vorteile liegen auf der Hand: Kein Passwort, keine PIN, keine physische Karte. Doch mit der zunehmenden Verbreitung biometrischer Zahlungssysteme stellt sich eine ebenso brisante wie zentrale Frage: Wie sicher ist eine Technologie, die den eigenen Körper zum Schlüssel macht?

Was ist biometrisches Bezahlen?

Biometrisches Bezahlen bezeichnet die Authentifizierung einer Zahlung mittels einzigartiger körperlicher Merkmale. Gängig sind aktuell vor allem:

  • Fingerabdruck-Scan (z. B. über Smartphones oder Kartenleser)
  • Gesichtserkennung (Face ID & Co.)
  • Iris- oder Retina-Scan
  • Stimmerkennung (seltener im Zahlungsverkehr, aber in Testverfahren)

Diese Verfahren gelten in vielen Anwendungen als besonders nutzerfreundlich. Ein Fingerzeig ersetzt den Zahlencode, ein kurzer Blick in die Kamera bestätigt den Einkauf. Die Technik kommt dabei vor allem in Kombination mit Mobile Payment (z. B. Apple Pay, Google Pay) oder bei kontaktlosen Zahlkarten zum Einsatz.

Wer nutzt biometrisches Bezahlen bereits?

Laut einer Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) nutzt rund jeder dritte Deutsche biometrische Verfahren beim Entsperren des Smartphones. Im Zahlungsverkehr steckt das Potenzial zwar noch in den Kinderschuhen, doch Pilotprojekte nehmen zu:

  • In China ist Face Pay bereits Alltag in Supermärkten und im öffentlichen Verkehr.
  • In Brasilien testet Mastercard biometrische Bezahlsysteme in Kooperation mit Supermärkten.
  • In Europa sind Testläufe unter anderem bei Rewe und Aldi Süd angekündigt, in Zusammenarbeit mit Zahlungsdienstleistern.

Die Technologie trifft dabei auf eine zunehmend technologieaffine, aber auch datensensible Gesellschaft.

Die Vorteile: Komfort, Geschwindigkeit, Effizienz

Biometrie im Zahlungsverkehr wird vor allem mit diesen Pluspunkten beworben:

  • Schnelligkeit: Der Authentifizierungsvorgang ist meist schneller als das Eintippen einer PIN.
  • Bequemlichkeit: Man hat „immer alles dabei“ – der Finger, das Gesicht, die Stimme sind nicht verlierbar.
  • Fälschungssicherheit: Biometrische Daten sind einzigartig und gelten als schwer kopierbar.
  • Keine Weitergabe notwendig: Zugangscodes müssen nicht erinnert oder mit Dritten geteilt werden.

Gerade bei kontaktlosen Systemen und Mobile Wallets sind biometrische Verfahren die nächste Evolutionsstufe einer zunehmend digitalisierten Zahlungsinfrastruktur.

Die Risiken: Datenspeicherung, Missbrauch, Unumkehrbarkeit

So überzeugend die Versprechen sind – der kritische Blick offenbart eine Reihe potenzieller Schwachstellen:

1. Einmal kompromittiert – für immer verloren

Während ein Passwort jederzeit geändert werden kann, ist der Fingerabdruck dauerhaft mit dem Menschen verbunden. Wird ein biometrisches Merkmal gestohlen, etwa durch Datenlecks bei Zahlungsanbietern, ist der Schaden kaum reversibel.

2. Zentrale oder dezentrale Speicherung?

Ein zentrales Problem ist die Frage, wo die biometrischen Daten gespeichert werden. Viele Systeme speichern sie lokal auf dem Gerät – ein Sicherheitsplus. Andere jedoch nutzen Cloud-Server, was die Angriffsfläche vergrößert.

3. Datenschutzrechtliche Grauzonen

Die DSGVO stuft biometrische Daten als besonders schützenswert ein. Dennoch bleibt unklar, wie viele Anbieter ihre Nutzer wirklich umfassend über die Verarbeitung dieser Daten informieren. Die Frage, wer auf die Daten zugreifen darf und ob sie zu anderen Zwecken (z. B. Werbeprofiling) genutzt werden, ist nicht abschließend geklärt.

4. Technische Fehlbarkeit

Biometrische Systeme sind nicht unfehlbar:

  • Fingerabdruckscanner versagen bei Verletzungen oder starker Verschmutzung.
  • Gesichtserkennung funktioniert schlechter bei schlechten Lichtverhältnissen oder Veränderungen im Gesicht (Maske, Brille, Bart).

Zwischen Innovation und Kontrollverlust

Biometrie steht sinnbildlich für den schmalen Grat zwischen technologischer Innovation und möglichem Kontrollverlust. Während Sicherheitsunternehmen die Verfahren als „praktisch nicht manipulierbar“ bewerben, zeigen reale Vorfälle ein differenzierteres Bild:

  • 2023 wurde bekannt, dass Hacker in einem Feldversuch über 80 % gängiger Gesichtserkennungssysteme mit hochauflösenden Fotos oder Deepfakes austricksen konnten.
  • Bei einem Sicherheitsleck im indischen Aadhaar-System – dem größten biometrischen Identifikationsprogramm weltweit – wurden Millionen Datensätze kompromittiert.

Gerade vor dem Hintergrund solcher Beispiele sollte man biometrische Authentifizierung nicht als Allheilmittel betrachten.

Wo Alternativen überzeugen – oder ergänzen

Auch klassische und anonymere Zahlungsmethoden haben weiterhin ihren Platz – gerade aus Datenschutzsicht. Wer etwa vollständig ohne personenbezogene Daten bezahlen möchte, kann auf Produkte wie die Paysafecard zurückgreifen. Diese ermöglichen digitale Zahlungen ohne Bankverbindung oder persönliche Authentifizierung und sind deshalb besonders bei Jugendlichen und sicherheitsbewussten Nutzern beliebt.

Zudem setzen Banken zunehmend auf Multi-Faktor-Authentifizierung: Eine Kombination aus biometrischem Merkmal, PIN und Einmal-Code erhöht den Schutz bei sensiblen Transaktionen.

Wie viel Kontrolle will man abgeben?

Technologische Innovation fordert immer auch gesellschaftliche Entscheidungen. Biometrisches Bezahlen ist bequem – aber erkauft man sich diesen Komfort womöglich mit einer schleichenden Entmachtung über die eigenen Daten? Die Frage ist weniger technischer als vielmehr ethischer Natur:

  • Ist man bereit, eindeutige Körperdaten an Unternehmen zu übermitteln?
  • Welche Kontrollmechanismen gibt es gegen Missbrauch und Überwachung?
  • Welche Verantwortung tragen Anbieter – auch juristisch?

Die Antworten auf diese Fragen werden künftig nicht nur den Zahlungsverkehr, sondern auch das Vertrauen in digitale Systeme insgesamt prägen.

Wenn die Technik einen Schritt voraus ist

Die Biometrie im Zahlungsverkehr schreitet schneller voran, als es rechtliche, ethische und sicherheitstechnische Debatten oft erlauben. Während in Silicon Valley und Shenzhen bereits die nächsten Generationen biometrischer Sensorik erprobt werden – von Handvenen-Scans bis zu KI-gestützter Mimik-Erkennung – steckt die gesellschaftliche Auseinandersetzung vielerorts noch in den Kinderschuhen. Der Punkt, an dem man Technologien nicht mehr aufhalten, sondern nur noch gestalten kann, ist längst überschritten. Entscheidend wird daher sein, wie transparent, freiwillig und selbstbestimmt diese Gestaltung erfolgt.