Streamingdienste, Mediatheken & Co: Stirbt das klassische Fernsehen bald aus?

Es knistert längst nicht mehr nur im Kabel, es knistert auch in den Köpfen. Während früher die Fernbedienung das Zepter über den Abend führte, hat heute die App auf Smartphone oder Tablet das Kommando übernommen.
Noch immer schauen sich Millionen Menschen das lineare Programm an, doch gleichzeitig drängen Streamingdienste und Mediatheken so stark ins Zentrum des Alltags, dass sich die Frage kaum mehr vermeiden lässt. Geht das klassische Fernsehen seinem Ende entgegen oder erfindet es sich gerade neu?
Zuschauergewohnheiten verschieben sich und aus der Primetime wird On-Demand
Das Bild der Primetime war jahrzehntelang fast schon heilig. Um 20:15 Uhr verpasste man die große Samstagabendshow oder den Blockbuster, wenn man nicht rechtzeitig vor der TV Bank saß. Heute bestimmt allerdings nicht mehr die Uhrzeit, sondern vielmehr die eigene Stimmung, wann etwas geschaut wird. Streamingdienste haben das Sehen zeitlich entkoppelt und genau darin liegt ihre Faszination. Ob früh am Morgen im Zug, spät in der Nacht im Bett oder zwischendurch in der Mittagspause, Unterhaltung ist immer verfügbar.
Zahlen untermauern diesen Wandel eindrücklich. Während noch vor wenigen Jahren fast jeder in Deutschland regelmäßig lineares Fernsehen nutzte, liegt der Anteil inzwischen deutlich niedriger.
Rund drei Viertel der Bevölkerung schalten überhaupt noch klassisches TV ein, gleichzeitig nutzen weit über achtzig Prozent Streamingangebote oder Mediatheken. Die Waage kippt also spürbar. Diese Verschiebung bedeutet nicht nur eine Veränderung der Sehgewohnheiten, sie bringt auch einen tiefen Umbruch in den Strukturen der Medienbranche mit sich, denn Werbemodelle und Programmstrategien geraten dadurch unter Druck.
Besonders auffällig ist zudem, wie selbstverständlich Mediatheken in den Alltag integriert wurden. Früher war es eine Ausnahme, wenn eine verpasste Sendung später abrufbar war. Heute gilt es als Standard, den niemand missen möchte. Diese Kombination aus klassischem TV-Inhalt und On-Demand-Komfort verdeutlicht, wie fließend die Grenzen mittlerweile verlaufen.
Generationen im Vergleich – spielt das Alter eine zentrale Rolle?
Um die Zukunft des Fernsehens zu verstehen, lohnt sich der Blick auf die Generationen. Ältere Zuschauer bilden weiterhin das Rückgrat des linearen Programms. Für viele bedeutet das Abendprogramm im TV ein vertrautes Ritual, das nicht nur Unterhaltung bietet, sondern auch Verlässlichkeit und Orientierung im Tagesablauf. Nachrichten zur gewohnten Zeit, die Lieblingsserie immer am selben Wochentag, all das schafft einen Anker.
Jüngere Menschen wachsen dagegen in einer Umgebung auf, in der Auswahl und Flexibilität selbstverständlich sind und schauen deshalb kaum noch Fernsehen. Ob Netflix, Amazon Prime, Disney+ oder öffentlich-rechtliche Mediatheken, die Fülle an Inhalten steht rund um die Uhr bereit. Dabei geht es nicht allein um Unterhaltung, sondern auch um ein Lebensgefühl: Kontrolle über den eigenen Zeitplan zu haben, statt sich an Sendepläne zu halten.
Trotzdem ist das Bild differenziert. Viele kombinieren beide Formen. Ein junger Zuschauer streamt vielleicht eine Serie, schaltet aber bei großen Sportereignissen oder Talkshows das Fernsehen ein. Diese Mischform macht deutlich, dass keine starre Trennung besteht, sondern dass beide Systeme nebeneinander genutzt werden.
Konkurrenz oder Verschmelzung – wie Fernsehen und Streaming ineinander übergehen
Die alte Frage, ob Streaming das Fernsehen ablöst, greift längst zu kurz. Spannender ist die Beobachtung, dass beide Welten aufeinander zugehen. Fernsehsender haben eigene Mediatheken etabliert, in denen Inhalte zeitunabhängig abrufbar sind. Gleichzeitig probieren Streamingdienste lineare Formate aus, zum Beispiel durchlaufende Kanäle, die das Gefühl eines traditionellen Programms erzeugen. Diese Entwicklung hat Folgen. Klassische Werbeblöcke verlieren an Reichweite, da Zuschauer sie beim Streamen überspringen oder Premium-Modelle ohne Werbung nutzen. Dafür entstehen neue Formen der Einbindung, von subtilen Produktplatzierungen bis hin zu personalisierter Werbung. Für die Anbieter ist das eine Gratwanderung zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und Zuschauerfreundlichkeit.
Auch die Rolle der Produzenten verändert sich. Serien, die ursprünglich nur für Streamingplattformen gedacht waren, landen plötzlich im linearen Fernsehen. Umgekehrt werden TV-Shows weltweit auf Streamingdiensten angeboten. Aus Konkurrenten werden in mancher Hinsicht Partner, die sich gegenseitig ergänzen und zusammen neue Märkte erschließen.
Sport und Events machen den Unterschied
Es gibt Ereignisse, die selbst überzeugte Streaming-Fans zum Fernseher locken. Wenn ein Land bei der Fußball-Weltmeisterschaft zittert, wenn Olympische Spiele Millionen vor den Bildschirm ziehen oder wenn politische Entscheidungen live übertragen werden, entfaltet das Fernsehen eine Kraft, die sich kaum imitieren lässt. Dieses gleichzeitige Erleben, das Gefühl, dass Millionen zur selben Zeit dieselben Bilder sehen, erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl, das im On-Demand-Modus so nicht entsteht.
Natürlich lassen sich Sport und Veranstaltungen auch streamen, doch die Infrastruktur erreicht bislang selten die Stabilität und Reichweite des klassischen Fernsehens. Hinzu kommt das ritualisierte Element, zur selben Zeit mit anderen verbunden zu sein. Genau dieses kollektive Erlebnis dürfte ein entscheidender Grund sein, warum das Fernsehen auch in Zukunft seinen Platz behauptet.
Auch Unterhaltungsshows oder Musikwettbewerbe entfalten live eine besondere Wirkung. Sie werden in sozialen Medien diskutiert, sorgen am nächsten Tag für Gesprächsthemen und schaffen Momente, die Streaming allein schwer erzeugen kann.
Eine neue Realität des Fernsehens
Als Netflix-Gründer Reed Hastings im Jahr 2014 ankündigte, dass das klassische Fernsehen in zwanzig Jahren verschwinden werde, klang das kühn. Heute, zehn Jahre später, zeigt sich, dass die Realität komplexer ist. Streaming hat enorme Marktanteile erobert, das klassische Fernsehen jedoch nicht vollständig verdrängt. Beide existieren nebeneinander, mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen.
Solche Vorhersagen machen deutlich, wie schwer es ist, langfristige Entwicklungen in der Medienwelt einzuschätzen. Technologien verändern sich schneller als erwartet, gleichzeitig halten sich alte Gewohnheiten länger, als Prognosen es nahelegen. Der Blick auf das Jahr 2034 bleibt spannend, aber die Vorstellung, dass das Fernsehen bis dahin völlig verschwunden ist, wirkt inzwischen wenig wahrscheinlich.
Kein abruptes Ende, aber ein langsamer Wandel mit offenem Ausgang
Das Fernsehen stirbt nicht, es wandelt sich. Streamingdienste und Mediatheken haben die Art des Konsums auf den Kopf gestellt und Zuschauer in die Lage versetzt, Inhalte selbstbestimmt auszuwählen. Dennoch hält sich das lineare Fernsehen, getragen von älteren Zielgruppen, kollektiven Live-Momenten und einer Verlässlichkeit, die in einer fragmentierten Medienwelt ihre eigene Stärke darstellt.
Die Entwicklung gleicht weniger einem abrupten Bruch als einem langsamen Umbau. Fernsehen und Streaming verschmelzen zunehmend, die Grenzen verschwimmen und am Ende zählt allein, dass Inhalte so konsumiert werden, wie sie am besten ins Leben passen. Ob das in fünfzehn Jahren noch so aussieht wie heute, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Sicher ist nur, dass Unterhaltung ihre Form ändert, nicht aber verschwindet.





